Wie ist das eigentlich, warum sagt man „Herzschmerz“?
In all den schlaflosen Nächten liegt man da und fragt sich, warum ein Herz wehtun kann. Am Ende des Tages ist es ein Muskel – aber stimmt das? Ist das Herz, das Organ, was uns am Leben hält nicht wirklich auch das, was zu dem macht, was wir sind?
Man stelle sich vor, dass jeder Mensch von Geburt an ein „ganzes Herz“ hat. Und dann kommt der schrecklich schöne Tag, an dem es anfängt, schneller zu klopfen, vielleicht ein oder zwei Sprünge zu machen und eventuell auch einen Salto – und dann? Dann ist das Kind in den Brunnen gefallen und man ist bis über beide Ohren verliebt. Nun stehst du da mit den ganzen Gefühlen und dein Herz wird größer und größer und dehnt sich aus, denn sonst hätten all diese Gefühle ja gar kein Platz in deinem Herzen, was bisher nur einem selber gehört hat.
So läuft man nun rum. Mit einem Herz, zum Bersten gefüllt und wartet auf den Tag, den Freiheitsschlag, an dem man endlich ein Stück davon hergeben kann, denn das ist alles, was man will, ein Stück von sich selber verschenken.
Dann kommt der große Moment, so lange herbeigesehnt, man schneidet einen großen Teil von seinem ganzen Herzen, was man immer für sich behalten wollte ab, macht sich verwundbar und präsentiert die pulsierende Hälfte auf einem Silbertablett. Das Gegenüber, selig gerührt von so viel Zuneigung wird wahrscheinlich nicht nein sagen und nimmt dieses vorschnelles Geschenk gerne an.
Und nun beginnt das Dilemma. Sobald das Herz aus deinen Händen ist, sorgt man sich darum. Wird es ihm gutgehen in den anderen Händen? Wird es verletzt werden? Wie kann man eigentlich mit einem halben Herzen leben?
Irgendwann beruhigt man sich, es wird ruhig im Kopf, die Sorgen verschwinden ganz langsam. Dem Herz scheint es gut zu gehen und zusammen mit dem Schlüssel zu einer anderen Wohnung bekommt man auch noch ein halbes Herz von dem Besitzer des eigenen halben Herzens geschenkt. Also warum sich weiter Sorgen machen? Deine Hälfte ist zwar weg, aber man hat ja schließlich ein äquivalentes Gegenstück gereicht bekommen. Langsam, ganz langsam wachsen der Teil, der einem geschenkt wurde und der andere zusammen, an der Stelle, wo man es selber abgeschnitten hast. Die Narbe ist klein, denn die Stücke passen einfach perfekt zusammen.
So könnte man sich ein schönes Leben vorstellen, nicht wahr? Jeder hat die Hälfte des anderem, das euch zu einem ganzen macht.
Leider ist es nicht immer so.
Bei jeder Trennung wird zuerst der Schlüssel zurückgegeben. Man möchte nicht mehr, dass der andere Zutritt zu seinem persönlichen Hab und Gut hat. Man möchte nicht, dass etwas verschwindet, man möchte jemand ausschliessen, ganz weit weg, nicht nur aus seiner Wohnung, auch aus seinem Leben.
Den Schlüssel in der Hand fragt man sich dann „und was ist mit dem Herzen?“. Man hat nicht gemerkt, dass sein Herz schon ganz ganz klein geworden ist, weil nach und nach kleine Stückchen wieder zurückgefordert wurden, immer weiter, wie von einem Steak, was innen roh ist und man erst rundherum in kleinen Scheiben abschneidet, weil man eigentlich rohes Steak nicht mag.
In den meisten Fällen geht es aber dann ganz schnell. Das Gegenüber hat seinen Schlüssel zurück, Zack, Fleischerbeil durchs Herz und schnell das mitnehmen, was einem gehört.
„Gib mir meins zurück, hier hast du deins, ich schmeiss es dir vor die Füße, ich möchte es eh nicht mehr.“
Ratlos und halbherzig steht man dann da, mit einem benutzen, schmutzigen Teil seines Herzens, voller Erinnerungen, denn es war ja lange nicht sein Eigenes und einem blutigen, kümmerlichen Stück Herz in der Brust.
Aber weil man weiß, dass man so sowieso nicht weitermachen kann, nimmt man den armen, halben Teil, legt es ein in Tränen und Alkohol, damit es sich mal kurz erholen kann, sich säubern kann und die Erinnerung rausgespült werden kann.
Und dann, ganz langsam, ganz langsam, fängt man an, sich um selber zu kümmern. Die große Fleischwunde in der Brust tut so weh, dass das Atmen schwerfällt und wie eine pulsierende Wunde zuckt es immer wieder bei der kleinsten Berührung zusammen. Das hält man aus.
Erst Stunden, dann Tage. Zuerst erträgt man alles nur und dann, langsam, ganz langsam bildet sich eine Kruste, die zwar noch weich ist, aber wenigstens den Schmerz etwas eindämmt. Und so geht es weiter, man geht wieder seinem normalen Leben nach, man isst, man trinkt, geht arbeiten und irgendwann merkt man, dass einem etwas fehlt, dass man nicht mehr so ganz komplett ist – wie auch?
Ein halbgeheiltes halbes Herz macht ein Leben nicht wirklich schön, ständig will man die andere Hälfte mit etwas ausfüllen, was aber nicht so richtig darein passt.
Also nimmt man das große Einmachglas, schüttet den Alkohol und die Tränen weg und legt sein altes, verschenktes Herz an das, was grade heilt und hofft, dass das Aufbrechen der Kruste nicht ganz so weh tut, denn man rechnet schon wieder damit. Damit, dass es Blut und Tränen und sehr viel Schmerz geben wird.
Und dann passiert das, was völlig unvorhersehbar war; man kann endlich durchatmen. Das Herz schlägt endlich im richtigen Takt und man ist so erleichtert, denn die Herzteile passen noch zueinander. Durch das ganze Durchspülen sind die Erinnerungen ganz weich, fast schon aufgelöst und man hat das zurück, was man so sehr vermisst hat: Sein ganzes Herz, sein ganzes Leben.
Die Narben sind da, aber man kann sich sicher sein, dass das Herz an dieser Stelle stärker zusammenhalten wird.
Vielleicht wird das Herz wieder groß werden, so groß, dass man einen Teil von ihm verschenken möchte – aber der Muskel ist grade so verkrampft, Muskelkater vom Liebeskummer, dass das Herz erst einmal zu Hause bei einem selber bleiben muss.
Alleine mit einem, seinem ganzem Herzen.
By San 24. November 2020 - 21:01
Wow, Nora. Das hast du bildlich toll verpackt… auch wenn das den Herzschmerz sicher nicht weniger macht. Ich drück dich mal.
By Liebe Fünfjährige Nora | a red apple 1. Juni 2022 - 10:41
[…] du wirst auch das überstehen. Du bist nun in der Rolle der alleinerziehenden Mutter, bist in einer toxischen Beziehung, die dir schwer zu schaffen macht und hast das Gefühl, dein Leben ist nicht mehr so, wie es sein […]