Das Leben mit der Angst

Wenn Kinder auf die Welt kommen, ist es erstaunlich, wovor man alles Angst haben kann.

Direkt im Krankenhaus hat es begonnen: Meine mich zu behandelnde Ärztin sagte mir: Das Baby darf nicht auf dem Bauch schlafen. Das ist verboten!
Ok, dachte ich. Verboten ist ein großes Wort, aber wegen der allgemeinen Informationen des plötzlichen Kindstodes wusste ich das schon.

Aber die Liste ging immer weiter. Keine Creme in den ersten vier Monaten, kein Shampoo, kein Duschgel für die Kleinen. Keine Wundsalbe.

Man darf auf keinen Fall Fingernägel schneiden in den ersten vier Wochen.

Dann soll man Vitamin D geben mit Fluorid, meine Hebamme gab mir welches ohne, mein Kinderarzt sagte, ich solle gar keins geben.

Okkkkayyyy, dachte ich mir, irgendwann wird es ja gut sein mit der Verbots-Liste.

Aber je älter Johann wurde, desto mehr Angst wurde mir gemacht (man muss dazu sagen, ich bin SELBER SCHULD, denn ich habe den lieben Freund Herr Google zu Rate gezogen).

Kein Honig, keine Nüsse, kein Gehfrei, nicht tragen mit Babybjörn, nicht im Elternbett schlafen lassen, nicht im Kinderzimmer alleine schlafen lassen, nicht im Hochstuhl sitzen, nicht im Türhoppser sitzen, keine Milchprodukte vor dem ersten Lebensjahr und nun kommt der Knaller: Nicht das Buch lesen „Jedes Kind kann schlafen lernen“, was da drin steht sei gefährlich.

An diesem Punkt dachte ich mir: Gut Nora. Weder Google noch irgendwelche anderen Personen werden nachts aufstehen und dein Kind beruhigen wenn es zahnt, sie wechseln Johann nicht die Windeln, geben ihm nichts zu essen und waschen nicht seine Wäsche.

Das mache ich, seine Mutter. Natürlich werde ich ihm keinen Honig in warme Kuhmilch geben um ihn zu beruhigen, denn das wäre Unsinn, er wird noch gestillt.
Aber wenn irgendwelche überambitionierten Mamas denken mir vorschreiben zu müssen, welchen Buch ich lese, dann ist das Maß voll.

Natürlich gibt es einen Haufen Gefahren für die kleinen Würmer, aber vielleicht ist es auch besser, nicht alle zu wissen.

Bei unserem Umzug stand hier alles mögliche rum und wer schon einmal mit einem Krabbelkind umgezogen ist, der weiß wie schrecklich das ist (das Gute an der Sache: Wir waren nach 2,5 Tagen KOMPLETT fertig eingerichtet).
Auf jeden Fall hat Johann an einer normalen Batterie geleckt und ich in völliger Panik, habe die Giftnotrufzentrale angerufen (die Nummer steht bei uns am Kühlschrank, wie die Ärztin es mir geraten hat). Auch heute kann ich noch nicht darüber lachen, denn ich wusste nicht, ob es gefährlich ist oder nicht, mein Mutterinstinkt sagte aber, ich solle mal nachfragen (die nette Frau an der Giftnotrufzentrale sagte übrigens, dass es völlig ungefährlich sei, selbst wenn die Batterie ausgelaufen wäre hätte die Säure nur etwas die Schleimhäute gereizt).

Ich will damit sagen, dass jede Mama selber weiß, wann eine Situation eintritt, die schlimm ist oder weniger schlimm.

Ich kenne Mütter, die geben ihren Kindern die Schnuller, die auf die Straße gefallen sind zurück, ich kenne Mütter, die waschen alles ab, womit mein Kind vorher gespielt hat und beide begründen es mir so, dass ich es verstehen kann.

Vor einiger Zeit ging hier das Geschrei los weil Johann immer noch nicht geimpft ist. Ich habe mir alle Seiten angehört und habe genau das getan, was ich als Mutter tun sollte: Auf meinen Mutterinstinkt hören. Wenn Johann ein Jahr alt ist werde ich mich mit seinem Kinderarzt zusammensetzen und wir werden das Thema Impfen besprechen. Und dann werde ich auf jemanden hören, den ich vertraue und nicht auf die breite Masse die schreit „Nora, bist du verrückt? Bitte lass dein Kind impfen, stell dir vor es bekommt Windpocken.“.

Am Ende des Tages fühle ich mich oft wie eine Rabenmutter. Ich setze ihn in den Hochstuhl, er schläft im Elternbett und ich mache keine Babykurse mit ihm. Ich habe oft ein schlechtes Gewissen. Nicht, weil ich selber denke ich bin eine schlechte Mutter, sondern weil die Umwelt um einen herum alles über mich und mein Kind weiß und anscheinend gibt es so viel Verbesserungspotential, dass man mir das ständig sagen muss. Dann sehe ich Johann an, der so ein Urvertrauen in mich hat und er strahlt mich an und erklärt mir in seiner Brabbelsprache, dass es ihm schon gut geht und ich bin wieder etwas beruhigter.
Etwas. Denn die Verunsicherung ist der ständige Begleiter, auch wenn ich das überhaupt nicht will.

Neulich sagte mir mein bester Freund: „Du bist so eine entspannte Mutter, wirklich. Da kenne ich ganz andere.“
Anscheinend bin ich eine gute Schauspielerin, wenn noch nicht einmal er merkt, dass die ganze kleinen „Babyregeln“ in meinem Kopf rumschwirren und mich innerlich sehr verunsichern. Ich mache mir Sorgen um dies und das und ob ich vielleicht eines Tages mein Kind aus Versehen umbringe, weil ich etwas nicht weiß.

Innerlich schreie ich den ganzen Tag.

xoxo, nora.

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